Mein Buch bei Rohnstock Biografien
Mein Blog bei Rohnstock Biografien
Ende der sechziger Jahre machte sich Vater als Fahrlehrer selbstständig. (...)
Es ging schnell bergauf. In den geburtenstarken Jahrgängen gab es viele junge Leute, die den Führerschein machen wollten. Vater verdiente gutes Geld.
Kaum ein Jahr, nachdem er die Fahrschule eröffnet hatte, konnte er beginnen, ein Haus für uns zu bauen. (...)
Als gelernter Maurer stemmte Vater auf unserer Baustelle wahnsinnig viel selbst. Doch er überschätzte seine Kräfte. Arbeit und Hausbau belasteten doppelt. So gab es immer wieder Stress. (...)
Vater machte in seiner Sturm- und Drangzeit große Fehler. Mutti half in der Fahrschule, aber er meldete sie nicht als Angestellte an. Natürlich brauchte er so keine Sozialabgaben zu zahlen. Doch die Kosten hätte er ja absetzen können - und bei niedrigeren Gewinnen Steuern gespart. Und Mutti hätte später eine vernünftige Rente erhalten. (...)
Letztlich stand Vater den Hausbau durch - und mit ihm die gesamte Familie. Ich hatte kräftig mit anpacken müssen, schließlich war ich schon zehn Jahre alt. Klein-Andy war mächtig stolz. Mit geschwellter Brust zogen wir im Winter 1969/70 in unser schönes neues Haus. Bis zum Umzug war es für mich unvorstellbar gewesen, mein Zuhause in der Andreasstraße verlassen zu müssen.
Obwohl das Leben im alten Haus mitten in Verden so einfach war, erinnere ich mich an eine wunderschöne, glückliche Kindheit. Beim Einzug in unser zweites Heim war das Haus allerdings nur halb fertig. Deshalb nisteten wir zunächst unterm Dach. Die Etage darunter war noch unbewohnbar, weil nicht ausgebaut. Wir mussten eine Leiter hochklettern, wenn wir in unsere Wohnung wollten. Eine wilde, aufregende Zeit. Ungeordnete Zustände - was will ein aufgeweckter Bengel mehr?
Nach rund einem Jahr war das Haus schließlich fertig ausgebaut. Mann, war das toll! Innen- und Außenkamin, überall Heizung - Eisblumen ade! Plötzlich zwei Badezimmer für unsere Familie. Früher hatten wir in der Zinkwanne im Wohnzimmer gebadet. Jetzt der pure Luxus. Ein bequemes Leben begann. Vater sei Dank.
Auch sonst änderte sich viel. Eine Sensation war der Farbfernseher. Plötzlich sah die Welt viel bunter aus. Unsere Familie hatte eines der ersten Geräte gekauft, die auf den Markt gekommen waren. Das konnten wir uns leisten, denn Gott sei Dank war die Fahrschule all die Jahre solide im Geschäft.
Alles lief bestens. Wir lebten in finanziell gesicherten Verhältnissen. Daran hatte auch Mutter ihren Anteil. Sie arbeitete mit, damit es aufwärts geht.
Mitte der siebziger Jahre kaufte Vater in seinem unendlichen Tatendrang ein Haus in der Grünen Straße 24, gleich um die Ecke von der Andreasstraße 3. Als kleiner Junge hatte ich dort mit meinem ersten Laufgitter-Kumpel Wolfhard Marschner, dem Bäckersohn, gespielt. Es handelte sich um das frühere Domizil des Bäckers, das zum Verkauf stand. Die Bäckerei war Teil meiner Kindheit und stand jetzt leer.
Vater hatte mit Mutter über den Hauskauf gesprochen. Sie war dagegen, befürchtete neuen Stress. Mutti wollte endlich Ruhe haben und hatte Nein gesagt. Er kaufte es trotzdem, um über die Wertssteigerung der Immobilie und/oder die Mieteinkünfte sein Altersauskommen abzusichern. Wie immer hatte er große Pläne: Er wollte seine Fahrschule mit Unterrichtsräumen in dem Gebäude unterbringen, damit er woanders keine Miete zahlen muss. (...)
Die Entscheidung für dieses Haus tat der Ehe meiner Eltern nicht gut: Papa begann mit dem Ausbau. Wieder legte er selbst Hand an. Frau und Kinder mussten mit anpacken.
Montags bis freitags war Vater von morgens bis abends mit seinen Fahrschülern unterwegs. Abends ab sechs und an den Wochenenden absolvierte er seine zweite und dritte Schicht.
››Von nichts kommt nichts!‹‹, sagte er. Und Mutti und Papa stritten sich immer häufiger.
Als Vater im Keller ein wunderschönes Gewölbe entdeckte, drehte er völlig durch. Der Hauskeller entpuppte sich als Teil des alten Kreuzganges des Doms zu Verden, der einst zugeschüttet worden war. Der Dom ist etwa tausend Jahre alt, schon in den ersten Landkarten Deutschlands findet sich das Bistum Verden.
››Daraus machen wir einen Weinkeller!‹‹, nahm sich Vater vor, und schon ging er ans Werk.
Wieder stemmte er den Um- und Ausbau weitgehend allein. Meine Brüder und ich mussten selbstverständlich mit ran.
(...)
Da das Domgymnasium nur drei Häuser von der Baustelle entfernt lag, musste ich oft beim Renovieren ››eben mal schnell‹‹ helfen. Typisch: Wenn andere Freizeit hatten, bauten wir das Haus um. Das zog sich bis in mein Abiturjahr hin.
Der Weinkeller lief nie richtig. Vater stand hinterm Tresen und Mutter musste zu Hause Käse- und Zwiebelsuppe für die Gäste kochen. Unser Haus war ja nur einen Katzensprung entfernt. Selbst wir Jungs mussten hinterm Tresen kellnern.
Die Sache wurde durchgezogen, auf Teufel komm raus. Alles nur, um nach einer Weile festzustellen, dass mein Vater kein geborener Gastwirt ist. Aber egal, er hielt an seinen Ideen fest.
Doch schließlich musste selbst Vater einsehen: Es bringt nichts. Es war halt nur eine seiner vielen Ideen.
Als ››Ersatz‹‹ für den aufgegebenen Weinkeller ritt Vater ein neuer Einfall: Im oberen Teil des alten Bäckereihauses ließe sich doch ein Nachhilfestudio für Schüler aufbauen. Doch auch das lief nicht.
(...)
Vater zog keine Lehren aus der Misere mit dem Hauskauf. Im Gegenteil: Er tanzte auf zu vielen Hochzeiten, statt sich auf einer richtig auszutoben. Mal hier etwas probieren, mal dort - das bringt es nicht.
Er war ein positiver Tausendsassa, wie er im Buche steht. Doch auch ein ideenreicher Mensch muss sich entscheiden. Sich konzentrieren! Und dann mit vollem Einsatz für sein Projekt kämpfen.
››Du kommst voll nach deinem Vater‹‹, sagte Mutter oft zu mir. Das war mir einerseits ein wichtiges Kompliment, andererseits gab und gibt es mir zu denken. Ich will mich deshalb mehr und mehr auf bestimmte Geschäftsbereiche festlegen. Das bedeutet auch, sich von einigen Ideen zu verabschieden, weil man nicht alles verfolgen kann.
Wer mit zu vielen Ideen liebäugelt, verzettelt sich. Das lehrte mich das Beispiel meines Vaters. Ich will meine Kräfte bündeln.
Am Ende muss wirklich alles, aber auch alles passen.
... comment