Mein Buch bei Rohnstock Biografien
Mein Blog bei Rohnstock Biografien
Endlich! 1984 bezog ich zusammen mit meiner Freundin Birgit die neue Wohnung (...)
Mitten im Schwabenländle wollte ich im Herbst den Studienplatz in Stuttgart antreten. Die drei Monate bis zum vermeintlichen Studienbeginn wollte ich offiziell als ››arbeitslos‹‹ verbringen: ein bisschen jobben, mir fürs Studium Geld verdienen.
Doch beim Stuttgarter Arbeitsamt, wo ich mich melden musste, lief es anders als erwartet. Mir wurde ein Job angeboten: Ich hätte sofort als Tellerwäscher im Nürtinger Hotel am Schlossberg anfangen können. Das Angebot lehnte ich dankend ab - damals war das noch möglich. Für den zweiten Vorschlag hatte ich ebenfalls nicht viel übrig. Es kann sich um nichts Weltbewegendes gehandelt haben, sonst könnte ich mich daran erinnern.
Doch dann kam eine Offerte, die mir reizvoll erschien: Lagerarbeiter bei der Hortmann GmbH - im Bereich der Medizintechnik. Ich sagte Ja, und nahm mir vor, dort nur die drei ins Auge gefassten Monate bis zum Semesterbeginn zu arbeiten. Jobben und Kohle kassieren. Mehr sollte nicht sein.
Doch Andy hatte wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es war Sommer - und merkwürdig: ››Kannst du eine Hecke schneiden und Rasen mähen?‹‹, fragte mich Günter Hortmann, der Chef des Unternehmens.
››Natürlich‹‹, antwortete ich und freute mich, draußen an der frischen Luft arbeiten zu können, statt im Lager.
Komisch nur, dass Herr Hortmann regelmäßig meine Nähe suchte. Er wollte keinen Smalltalk, sondern sprach mich wegen seiner innerbetrieblichen Probleme an. (...)
Ich sprach völlig unbefangen mit ihm, weil ich nichts zu verlieren hatte. (...)
Das war Herr Hortmann nicht gewohnt. Keiner seiner Mitarbeiter sprach so mit ihm. Meine Geradlinigkeit imponierte ihm anscheinend: Endlich war da jemand, der sich traute, mit ihm Klartext zu reden.
Leider hielt es der Chef nur mit mir so. Ich versuchte zwar, ihm nahe zu bringen, dass er so offen und freimütig mit anderen Kollegen über Probleme sprechen müsse. Doch konnte Herr Hortmann nicht über seinen Schatten springen.
Ein paar Wochen und viele solcher Gespräche später, fragte mich der Chef: ››Hast du nicht Lust, für ein Jahr im kaufmännischen Bereich zu arbeiten? Sozusagen als Training on the job? Studieren kannst du ja immer noch!‹‹
(…) Ich überlegte nicht lange. Jeder kennt doch das Sprichwort vom Ins-Wasser-Springen-und-schwimmen-lernen.
››Jo, das machen wir!‹‹, sagte ich mir und Herrn Hortmann. ››Rieche ich mal ein bisschen in den kaufmännischen Bereich hinein. Kann ja nicht schaden.‹‹
Ich wurde normal bezahlt wie alle anderen. Ich war ein richtiger Angestellter. Da schwoll meine Brust! Denn ich war als Nobody eingestellt worden. Bis eben noch hatte Andy Zelten, Faulenzen und Studienwünsche im Kopf gehabt - und nun einen richtigen Job!
(...)
Gleich zu Beginn meiner Karriere sollte ich eine Tagung in Stuttgart organisieren. Thema war das Cochlear-Implantat, eine interessante Technologie: Gehörlosen Menschen wird ein Implantat ins Innenohr eingesetzt. Ein vom Patienten getragener Sprachprozessor verarbeitet die Sprache zu Impulsen, die an das Implantat übertragen werden. Mit dieser Technologie wird es manchen Gehörlosen wieder möglich zu hören. (...)
Ich hatte von solchen Möglichkeiten der medizinischen Forschung noch nie gehört und war begeistert! Ich organisierte, was das Zeug hielt.
Doch bislang hatte ich noch nicht einmal in einem Hotel geschlafen. Warum auch? Und plötzlich sollte ich für hochkarätige Professoren, die aus aller Welt anreisten, die Unterbringung arrangieren, Absprachen mit dem Hotelmanagement treffen und verhandeln.
Wie aufregend! Wie schön!
Wie schrecklich, das schaffe ich nie!
››Egal, einfach loslegen‹‹, lautete meine Devise. Keine Angst vor Fehlern. Losmarschieren, und fertig! Am Ende klappte es zur Zufriedenheit aller.
Ich erlebte einen unheimlichen Antriebsschub und begriff, wie wichtig die eigene Motivation und die des Teams ist. Schenk den Mitarbeitern Vertrauen und sie bewegen etwas.
Fortan arbeitete ich mit riesigem Spaß im Marketing. Der Chef nahm mich unter seine Fittiche, wofür ich ihm bis heute dankbar bin. (...)
Bald wurde ich zur rechten Hand des Chefs für den Marketingbereich.
Natürlich lernte ich dabei mit ganz anderen, kleinen und großen Herausforderungen umzugehen. Ich lernte viel - für die Zukunft.
So entwarf ich zum Beispiel Prospekte und arbeitete mit Druckereien zusammen. (...) Anfangs durfte ich nur ein paar Ideen für einen Prospekt beisteuern. Das begann mich schnell zu langweilen, und nach und nach ging ich eigene Wege. Seinem Chef beizubringen, dass er schlechte Fotos von technischen Geräten macht, bei denen die Drucker die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, will gelernt sein.
Eines lernte ich bei Hortmann außerdem: Wie wichtig es ist, seinem Arbeitgeber gegenüber loyal zu sein.
Es trat der Fall ein, dass sich seine Generalvertretungen selbstständig machten und eigene medizinische Geräte bauen und vertreiben wollten. Mit dem Know-how der Firma und ohne Wissen des Chefs, der glaubte, alles sei bestens. Es kam sogar so weit, dass die Abtrünnigen mich - die rechte Hand des Chefs - auf ihre Seite ziehen wollten.
Ich blieb loyal und informierte Herrn Hortmann über die Machenschaften einiger seiner Mitarbeiter. Dann drehten wir einfach den Spieß um und tricksten sie aus: Ich zeigte mich interessiert an ihren Offerten und nutzte alle Informationen, die Günter Hortmann und seinem Team Schaden hätten zufügen können. Für meinen Chef. Ich versorgte ihn mit allen Neuigkeiten - und wir warben kurzerhand heimlich die guten Mitarbeiter der Generalvertretungen ab. Dann kündigte Günter Hortmann völlig berechtigt den Generalvertretungen und überraschte die traurigen Gestalten. Diese Geschichte verband uns beide.
Loyalität war Ehrensache. Denn ich hatte Respekt vor der Leistung von Günter Hortmann, der seine Hortmann GmbH aufgebaut und viele Arbeitsplätze geschaffen hatte. Mit Trittbrettfahrern hatte ich nichts am Hut. Eine furchtbare, hinterhältige Spezies! Und langweilig dazu, weil sie keine eigenen Geschäftsideen entwickeln - und mit den geklauten Ideen häufig genug gegen die Wand fahren. (...)
Letztlich kam ich nie zum Studium. Jedes einzelne Jahr bei Hortmann brachte mich beruflich und fachlich weit nach vorne. Die Arbeitswelt ließ mich nicht mehr los.
Fünf Jahre blieb ich bei der Hortmann GmbH, von 1985 bis 1990. (...)
In diesen fünf Jahren eignete ich mir mehr Praxiswissen an, als ich durch ein Studium jemals erreicht hätte. (...)
Von der Universität kommend, ist man theoretisch bestens gerüstet. Genau so packt man jedoch Probleme an - von der theoretischen Seite her. Die praktische Sicht fehlt. Und auch den menschlichen Umgang lernt man nicht an der Universität.
Daher bereue ich es nicht, dass ich nie studierte, ...
Ich würde es wieder so machen.
Diese Haltung durchzieht mein gesamtes Handeln und Tun. Wenn ich einen Mitarbeiter einstelle, achte ich darauf, dass es ein praktisch veranlagter Mensch ist. Ich mag vernünftiges, handlungsorientiertes Denken.
Nach fünf Jahren Hortmann GmbH stieß ich in meinem Arbeitsbereich an Grenzen. Ich wollte dem gängigen und langweiligen Marketing den Rücken kehren. (...)
Ungewohnter, neuer, frischer. (...)
Die Zeit war reif für Neues. Für Eigenes.
Außerdem war die Mauer gefallen - und damit ein besonderer privater Umstand eingetreten: Ich musste eine Wette einlösen. Ich hatte sie mit meiner Frau geschlossen ...
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