Mein Buch bei Rohnstock Biografien
Mein Blog bei Rohnstock Biografien
››Andy Rösch ist ein Macher. Ein Mann mit Visionen!‹‹, sollte es später einmal von mir heißen. Ich stand wie jeder Existenzgründer an der Brücke und kämpfte mit mir, den Weg hinüber ins Neue ... zu gehen. Ich hegte Zweifel: Was hatte ich bisher in meinem Leben erreicht?
Ich hatte eine kleine Familie gegründet und mich als Angestellter bei Günter Hortmann ordentlich geschlagen. Es war nicht alles knallhart durchkalkuliert für die Zukunft - doch ich verspürte einen inneren Drang. Und es war gut, dem zu folgen.
Die Brücke in die Selbstständigkeit ist die längste, die ein Mann oder eine Frau im Leben beschreitet. (...)
››Mit dreißig mache ich mich selbstständig‹‹, lautete eines meiner Lieblingsversprechen an mich und meine Familie. ››Mit fünfunddreißig werde ich Millionär. Und mit vierzig steht ein türkisfarbener Helikopter auf dem Firmengebäude mit Flachdach.‹‹ (...)
Mit dreißig Jahren machte ich mich tatsächlich selbstständig! Davon gleich mehr.
Mit 35 Jahren erhielt ich einen Scheck in Höhe von 500 000 US-Dollar und 500 000 Aktien vom amerikanischen Unternehmen American Electromedics für den Verkauf von fünfzig Prozent der Rösch GmbH-Anteile. Es hatte geklappt mit dem DM-Millionär.
Das mit dem Hubschrauber zum vierzigsten Geburtstag konnte ich zwar nicht realisieren, doch stattdessen ging ich mit meinem Unternehmen an die Börse. (...)
Bisher habe ich mir stets Ziele im Fünf-Jahres-Rhythmus gesetzt. Und die sind so oder so eingetreten. (...)
Nach der Wende sah ich die riesigen Chancen, die der Markt in den neuen Bundesländern hinsichtlich der Medizintechnik bot. Ich wollte sie nutzen. Und bewies den richtigen Riecher.
Im Frühjahr 1990 zog unsere Familie nach Berlin. Am 1. Juli machte ich mich mit der Rösch GmbH selbstständig.
In einem Reihenhaus in der Goldammerstraße 56a in Rudow fanden wir unser neues Zuhause und die neue Rösch GmbH ihren ersten behelfsmäßigen Geschäftssitz - unten im Keller.
Ich hatte mein Versprechen eingelöst: Wir lebten in Berlin und ich war selbstständig. (...)
Dennoch hatte ich nicht die hundertprozentige Zuversicht, dass ich das alles schaffe. An der GmbH mit dem damals üblichen Startkapital von 50 000 DM hielt ich fünfzig Prozent. Mein alter Chef Günter Hortmann hielt zwanzig Prozent und Hörgeräte Kramer & Reuter, die West-Berliner Vertretung von Hortmann, die restlichen dreißig Prozent.
Mit Unterstützung von Wolfgang Kramer ergatterten wir einen Kredit aus der ERP-Wirtschaftsförderung - 100 000 DM. Dies war nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Einrichtung einer HNO-Praxis meist deutlich über 250 000 DM kostete. Im Rückblick betrachtet, starteten wir mit einer äußerst knappen Finanzdecke.
Womit startete ich? Mit den Rechten als Generalvertretung für die Geräte der Hortmann GmbH, mit Diagnostikgeräten für HNO-Ärzte.
Ich musste mich jedoch in den neuen Bundesländern zunächst vorantasten: Alles war neu, unbekannt - ja fremd. Mein erster Besuch in Ost-Berlin, gleich nach Maueröffnung im November 1989, ist mir als grau in Erinnerung geblieben. Alles war grau. Die Häuser nicht gestrichen, nirgends Werbung zu sehen. Die wenigsten Menschen trugen farbige Kleidung. Selbst das Wetter war mies. Der Osten deprimierte mich - ich empfand alles nur als trist. (...)
Trotzdem: Ich wollte Geld verdienen. Gleich nach der Währungsunion im Sommer 1990 legte ich los. Allerdings ist so ein Sommerstart umsatztechnisch meist ein Debakel.
Die erste Woche der Selbstständigkeit gehörte meiner Schwiegermutter - vor denen ist man nie sicher. Auch dann nicht, wenn man sich gerade selbstständig macht.
Meine Schwiegermutter Roswitha überreichte mir zur Geschäftseröffnung eine Grünpflanze. Dabei ließ sie - mal wieder - eine Schote ab: ››Ich habe die letzten Tage nicht angerufen‹‹, sagte sie. ››Sonst hättest du beim Telefonklingeln vielleicht gehofft, dass es ein Kunde wäre - und wärst enttäuscht gewesen.‹‹ (...)
Ich startete gemütlich in meine Selbstständigkeit, ich wollte die Sommersonne genießen. Tagsüber saß ich mit dem Firmentelefon - nur mit Badehose bekleidet - auf dem Balkon. Neben mir spielte Shireen im Planschbecken. Und abends versuchte ich mich in der Vorbereitung von Werbe-Mailings: So schön - ruhig und genügsam - kann die Gründerzeit sein.
Bald verflüchtigte sich die Sonne. Ich wurde aktiv, denn die ersten Interessenten aus den ostdeutschen HNO-Kliniken meldeten sich per Post. Sie wollten sich selbstständig machen und waren den vielen westdeutschen Geräteanbietern ausgeliefert.
Wie konnte ich diese Interessenten für mich gewinnen? Ein Angebot unterbreiten und den Kunden liebevoll-bestimmt vollschwatzen kann jeder. Ich wollte mich unterscheiden von all den anderen und mehr bieten, weil diese Menschen mehr brauchten. Außerdem wollte ich Vertrauen aufbauen - die Grundlage für eine lange Kundenbeziehung.
Zusammen mit meiner ersten familieninternen Mitarbeiterin Viola bereitete ich meine Aktivitäten vor. Mein erstes Projekt waren Seminare für HNO-Ärzte. Dazu musste ich mir Adressen besorgen, ich hatte keine; ich begab mich auf Neuland. Mich überraschte die Tatsache, dass im Osten im HNO-Bereich rund neunzig Prozent Frauen arbeiteten. Kaum ein Mann. In Westdeutschland war das genau umgekehrt. Nicht allein deshalb musste ich mich umstellen.
Die Seminare waren gut besucht. Vielleicht deshalb, weil sich schnell herumsprach, dass wir ehrlich berieten. Viele der HNO-Ärztinnen waren um die vierzig bis fünfzig Jahre und hatten große Angst vor Veränderungen. Kaum eine von ihnen zeigte sich euphorisch: ››Hurra, die Mauer ist weg - jetzt mache ich meine eigene Praxis auf!‹‹, war keineswegs die vorherrschende Meinung.
Die meisten wagten den Schritt, weil sie für sich kaum eine Alternative sahen. Deshalb verkaufte ich diesen Frauen im Grunde genommen nicht nur die Geräte: Ich nahm mir viele Stunden Zeit und arbeitete nebenbei als liebevoller Seelenklempner. Die Ärztinnen vertrauten mir - und kauften dann bei mir.
Mitten hinein in meine erste berufliche Sturm- und Drangzeit verkündete mir Viola die tolle Nachricht, dass sie wieder schwanger ist. Wir zwei freuten uns sehr, dass Shireen bald ein Geschwisterchen bekommen sollte. (...)
Wie Viola die Zeit der Schwangerschaft meisterte, weiß ich nicht. Ich jedenfalls war keine große Hilfe, schließlich musste das Geschäft laufen. Ich bewundere sie für ihre Kraft.
Von Technik verstehe ich nicht viel, dafür hatte ich einen Mitarbeiter. Ich selbst konnte einer Ärztin oder einem Arzt nicht erklären, wie beispielsweise ein Audiometer funktioniert. Was interessiert das auch? Andere Dinge waren wichtiger: ››Wie bediene ich das Gerät?‹‹ - Hauptsache einfach! ››Wie bekomme ich das Geld von den Kassen wieder herein?‹‹
Solche Fragen stellten viele Ärzte. Und ich konnte sie beantworten. Das kam an. Deshalb verkaufte ich erfolgreicher als ein Techniker. Von seinem Fachchinesisch wären die meisten Doktoren völlig überfordert.
Damals tat ich mit meinem Techniker einen wahren Glücksgriff. Reyk Schampera war ein ostdeutscher Tüftler. Er begleitete mich bis zu meinem Ausscheiden aus der Rösch AG viele Jahre als Partner und Freund. Reyk arbeitet noch heute im ursprünglichen Bereich der Rösch AG, der heute der Riemser Arzneimittel AG gehört. (...)
Reyk hatte die Technik voll im Griff. Wie ein Zauberer. War eines unserer Geräte irgendwo in Ostdeutschland kaputt, fuhr er hin und brachte es wieder in Gang. Vor ihm ist bis heute kein Computer sicher.
Es wurden schnell mehr Angestellte, die als Vertreter und Techniker in den fünf neuen Bundesländern für mich unterwegs waren. Wir stellten viele Ostdeutsche ein, mit denen ich sehr gute Erfahrungen machte. Mir ging dieser ganze Ossi-Wessi-Scheiß ohnehin auf die Nerven. Die Wichtigtuerei und Überheblichkeit mancher Westdeutscher gegenüber den Ostdeutschen auch, was nun nicht bedeutet, dass ich mit Kritik hinterm Berg halte.
Ich betreute Ärzte vor Ort in ihren Praxen. (...) Wir boten ein ganzes Paket von Einrichtung, Technik, Versicherung und Finanzierung an. Alle Themen, die rund um eine Arztpraxis dazugehören. (...) Ich arbeitete zum Beispiel mit Möbelbauern und Versicherern zusammen. Jeder trug einen Teil bei - und ich führte Regie.
Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen: Es gab Kunden, die wussten nicht einmal, was ein Kredit ist. Ich will mich keineswegs lustig machen, sondern nur die Zustände kurz nach dem Mauerfall schildern: Viele Ärzte mussten sich wohl oder übel selbstständig machen. Ohne Kredite ging gar nichts. Sie waren überlebenswichtig für die Ärzte zwischen vierzig und sechzig Jahren. Sie brauchten das Geld, um ihre Praxen zu renovieren, um auszubauen, für neue Technik.
Ich brachte meinen Kundinnen und Kunden also manches neu bei. (...)
Manchmal arbeiteten meine Jungs und ich bis nach Mitternacht, weil eine Praxis am nächsten Morgen eröffnet wurde.
Mit vielen Kunden aus diesen Wendejahren pflege ich bis heute Kontakt. Und natürlich - deshalb waren wir ja da! - verdienten wir völlig zu Recht gutes Geld, für sehr gute Leistungen und Waren.
Mitten in die Aufbruchszeit fiel der Juli, der Geburtsmonat meines Sohnes Fabio. Alle meinten, dass es ein Sohn werden würde, der Bauch sähe anders aus als in der Schwangerschaft mit Shireen - wir hörten tausend schlaue Sprüche von allen Seiten. Ich aber hatte ein anderes Gefühl. Mein Gefühl tendierte zu einer kleinen süßen Gina.
Wir Röschis sind Spätzünder: Eigentlich war die Geburt für Anfang Juli geplant, doch nichts geschah, es verging Tag um Tag. Das Geschäft brummte, gleichzeitig war ich angespannt und in Gedanken bei Viola und dem Baby.
Zwischendurch ein aufgeregter Anruf: ››Das Kind kommt!‹‹
Ich werde aus Terminen gerissen und eile mit unserem Gesellschafter Wolfgang Kramer im Schlepptau zum Britzer Garten, einem Erholungspark, den meine Frau gerade besuchte. Die Zeit rast. Hat Viola unser Kind etwa schon bekommen - ohne mich, mitten im Britzer Garten? Dann die Entwarnung: Im Krankenhaus wird der falsche Alarm bestätigt.
Wolfgang Kramer, der mich eben noch zum Britzer Garten gefahren hatte, feierte am 12. Juli seinen Geburtstag. Es war ein wunderschöner Sommertag mit über dreißig Grad. Nach einem Freibadbesuch kündigte Viola einmal mehr an, dass ››es jetzt wohl so weit ist‹‹.
Violas Schwester Marion blieb bei Shireen und ich fuhr mit Viola ins Krankenhaus. Auf dem kurzen Weg dorthin meinte meine Liebste, dass es ihr doch wieder gut gehe.
››Jetzt reicht es!‹‹, beschloss ich. ››Ich fahre dich jetzt so lange in der Gegend herum, bis es so weit ist.‹‹
Im Krankenhaus angekommen, wurde meine Frau direkt ans Wehengerät angeschlossen. Vom Gerät fasziniert, sah ich auf die ausgedruckten Kurven und versuchte, Viola zu erklären, wann sie eine Wehe hat.
Als ob sie das nicht selbst merkte! Ich hätte das lieber sein lassen sollen, war aber nervös. (...)
Nun wurde es ernst: Es ging in den Kreißsaal. Ich durfte mich ganz ››in Krankenhaus‹‹ kleiden und fand mich schick in der Kleidung meiner Kunden.
Viola nahm es mit dem Humor, den sie in diesem Moment gerade noch aufbrachte. Die Tür zum Kreißsaal öffnete sich und es schienen an diesem Tag nur türkische Babys zur Welt zu kommen. Die türkischen Mütter schrieen, was das Zeug hielt. ››Schrei den Schmerz raus!‹‹ müssen sie bei der Geburtsvorbereitung auf Türkisch gelernt haben.
Es war heiß und eine Tortur für Viola, sie hatte starke Wehen. Die Hebamme gab mir Eiswürfel am Stiel, ich sollte meiner Frau damit die Lippen befeuchten.
Ich versuchte es wohl gerade in dem Moment, als eine Wehe begann. Wehe hin, Wehe her: ››Lass das sein!‹‹, raunzte Viola mich an.
(...) Das mit den Kinderkriegen ist für uns Männer doch etwas leichter - allen Frauen deshalb Respekt! Dank den Müttern, dank an Viola, die mir wider Erwarten aller eine zweite Tochter, unsere Gina, schenkte. Ich genoss es - wie schon bei Shireen - ein kleines Mädchen in den Armen zu halten.
Auf der Rückfahrt um Mitternacht war es schwülwarm. Ich öffnete alle Fenster und das Schiebedach des Golfs und drehte die Musik voll auf. Mit dem schönsten Glücksgefühl dieser Welt sang ich die ganze Autofahrt - gut, dass es niemand hörte.
Zu Hause erwartete mich Marion mit blauer Fabio-Ausstattung. Ausnahmsweise scherzte ich nicht und sagte: ››Es ist ein Mädchen!‹‹ Marion wollte es minutenlang nicht glauben. Aus war der blaue Traum - es lebe die Farbe rosa!
Doch schon holte mich der Geschäftsalltag ein. Die großen wichtigen Momente des Lebens sind eben kurz. Ich wurde so von der Arbeit überrollt, dass meine Schwiegereltern Viola und Gina aus dem Krankenhaus abholen und nach Hause bringen mussten. (...)
Zu dieser Zeit war ich wieder quer durch die neuen Bundesländer unterwegs. Ich fuhr von Klinik zu Klinik und verhandelte mit den Chefs. Mein erster Auftrag führte mich nach Magdeburg, der zweite am Tag darauf nach Weimar. Es waren einsame Stunden im Auto, auch weil ich kaum telefonieren konnte. Das DDR-Telefonnetz war mehr als dürftig. Manchmal musste ich eine Stunde warten, bis ich eine freie Leitung bekam.
Immerhin konnten sich die Krankenhäuser dank eines ersten Geldregens dringend benötigte Technik zulegen. Manche legten lange Listen an, was anzuschaffen sei. Ich fuhr mit den Geräten der Hortmann GmbH vor, erklärte wie sie funktionieren und nahm die Bestellungen auf.
Doch schnell war klar, dass ich mit den Produkten von Hortmann nicht alle Bedürfnisse abdecken konnte. Kundenorientiert schaute ich mich nach weiteren Firmen der Branche um. Ich wollte ein großes Leistungsspektrum anbieten. Dabei hatte ich den Ärzten meistens nicht viel voraus. Bestimmte Dinge musste ich mir erst aneignen, um sie vermitteln zu können.
Ich erlebte eine Zeit, die viel Neues brachte. Eine Zeit, die Spaß machte, auch wenn′s öfter anstrengend war. Das war echter Aufbau.
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