Mein Buch bei Rohnstock Biografien
Mein Blog bei Rohnstock Biografien
Sich einmal im Leben als Ausländer fühlen - ich hatte das Vergnügen, mitten in Deutschland. (...)
Ich als schweigsamer Fischkopf und sturer Norddeutscher unter den fleißigen Häuslebauern. Konnte das klappen?
(...) Es war verdammt schwer, an diese fleißigen Menschen heranzukommen. In einem so kleinen Dorf wie Aichtal-Aich erst recht.
Es war ein beschauliches Dörflein zwischen Reutlingen und Stuttgart, mitten im Schwabenländle. Ich hatte mir mit meiner damaligen Freundin Birgit eine Wohnung gemietet. Und schon war Birgit wieder ausgezogen und weg.
Wer war da jetzt schuld, war ich es oder diese Schwaben? Das musste genauer untersucht werden. Ich kam zu dem Entschluss, dass es für Birgit, die aus Lohmar nahe Köln stammte, tatsächlich ein schwäbisch-kölsches Problem gegeben hatte - garniert mit den Schwierigkeiten, die sie mit mir hatte. (...)
Fortan bot sich jeden Abend das gleiche Schauspiel: ››Kommt er alleine von der Arbeit nach Hause, oder bringt er jemanden mit?‹‹
Solche und andere blöde, dem Schwaben scheinbar wichtige Fragen bewegten besonders eine Nachbarin, die hinter den Gardinen auf meine Heimkehr lauerte: die ››Guck-mal-Schwaben‹‹.
Auch nicht meine Welt war die Kehrwoche. Und dann gibt es da ja noch die anderen Klischees, wie das vom nie fertig werdenden Häuslebauer: Was machte mein Nachbar? Er baute an.
Heilfroh darüber, dass der Anbau endlich stand, wurde ich umgehend eines Besseren belehrt. Das nervige Baugeschehen ging weiter. Eigentlich war da nichts mehr zu bauen, doch nun wurde die Garage unterkellert. Jeden Samstag dröhnte der Bohrhammer.
Landschaftlich ist das Schwabenland sehr schön. Nur, wie klappt das hier verdammt noch einmal mit den Kontakten? Die setzen sich alle getrennt an Tische. Wenn′s lustig wird, klappen sie tatsächlich die Gehsteige hoch. In vollen Kneipen, wo es langsam zur Kontaktaufnahme kommen könnte, wird plötzlich verkündet, dass das jetzt die letzte Bierrunde war. Komisches Völkchen.
Stattdessen freundete ich mich mit einem Australier an. (...)
Dr. Christopher Ross und ich wurden gute Freunde. Wir gingen squashen, ein Bierchen trinken und quatschten viel. Dass Christopher schwul ist, war nie ein Problem. Mein Bruder Christian ist ja auch homosexuell. (...)
Und dann kam Viola, die Berlinerin von Mallorca, nach Aich. Mit freundlichem spanischen Lebensgefühl versuchte sie zunächst, sich mit der Sprache anzufreunden: ››Hascht mir mal a Rädle?‹‹ Was sollte das bedeuten? Rauchen die hier Haschisch auf dem Rad?
Nein, es handelte sich um die freundliche Aufforderung, mal eine Scheibe Wurst rüberzureichen.
Wir bemerkten schnell, dass wir gemeinsam schon wieder ein Problem hatten. Wir lebten in wilder Ehe. Als positiv denkende Menschen stellten wir uns auch diesem Punkt. Wir entschieden uns zu heiraten.
Ein Datum musste her. Und was bot sich besser an als der 8.8.88? Das Datum müsste man sich merken können. Das Problem war, dass das Datum in den nächsten Jahren aufgrund der wechselnden Jahreszahlen nie wieder so einfach werden würde. (...)
Wir hatten uns entschieden, im alten Dom zu Verden, meiner Heimatstadt, zu heiraten. Viola arbeitete bei der Sixt-Autovermietung am Flughafen Stuttgart, und ihr Arbeitgeber stellte uns für die Hochzeit ein schickes Mercedes-Cabrio in Weiß zur Verfügung.
Am 5. August nahmen die Feierlichkeiten mit dem Junggesellenabend ihren Anfang. Meine Brüder waren dabei, einige Freunde und Aldo, mein sardischer Neuschwager, der Ehemann von Violas Schwester Marion. Wir besuchten verschiedene Verdener Kneipen; der Abend mündete in Tequila-Runden.
Für Aldo endete die Sause mit einem Kater. Wir bekamen ihn am nächsten Tage kaum zu Gesicht, er verbrachte den Tag in abgedunkelten Räumen. Als er kurz zu sehen war, reichte die Kraft nur für ein Wort: ››Koma!‹‹
Am 6. August sperrten wir mit einem großen Festzelt die Straße Im Holze. Vorsorglich luden wir die Bewohner der gesamten Straße zum Polterabend ein. (...)
Die Nachbarschaft meiner Eltern feierte den Polterabend als erstes richtiges Straßenfest.
Alle Verwandten waren da. (...)
Und Aldo, der Sarde - war er auf dem Fest oder weilte er noch in verdunkelten Räumen? (...)
Die Hochzeit war ein Traum. Das Wetter hätte nicht besser sein können und nach der standesamtlichen Eheschließung gegen Mittag sollte um 15 Uhr die kirchliche Trauung im Dom folgen.
Ich war vorgefahren, der Brautvater Jochen folgte mit der Braut. Um etwa 14.45 Uhr, der Dom war nur noch wenige hundert Meter entfernt, begannen die Glocken zu läuten. (...) Als ich den Dom erreichte, stürmte der Pastor auf mich zu: ››Wo bleibt denn der Rest der Gesellschaft?‹‹
Der Gute hatte doch glatt die Zeiten durcheinander gebracht.
Um 15 Uhr läuteten die Glocken ein weiteres Mal. Es wurde eine himmlische, klassische Trauung mit einer wunderschönen Braut.
Im Landhaus Döns erlebten wir wunderbare Stunden und eine schöne Sommernacht mit viel Tanz und Spaß: Der Anfang von inzwischen achtzehn Jahren Ehe.
Zurück nach Aich ging′s im schicken Mercedes Cabrio bei sommerlicher Hitze. Ich versuchte es mit offenem Verdeck und stellte verwundert fest, dass ich fürchterlich schwitzte. Später fand ich heraus, dass die Sitzheizung eingeschaltet war - bei dreißig Grad Lufttemperatur!
(...)
Viel später, im Jahre 2006 - zum Groß-Hochzeitstag am 06.06.06 - war in der Zeitung zu lesen, dass von hundert Ehen, die am 8.8.88 geschlossen wurden, nur sechs gehalten haben. Frau, liebe Viola, du schlägst dich tapfer mit mir!
Verheiratet ging alles viel leichter in Aich. In den Geschäften wurde Viola erstmals mit ››Frau Rösch‹‹ begrüßt. Die Grüßenden hatten sie vorher natürlich auch gekannt, aber plötzlich wurde man auch beim Namen genannt. (...)
Und weiter auf in die Offensive: Ein Baby musste her, das sollte den finalen Durchbruch in Aich bescheren! Verheiratet und dann noch ein Baby, das musste auch im Schwabenland zur vollständigen Integration genügen.
Am 3. Mai 1989 war es so weit: Es war ein wunderschöner Tag mit blauem Himmel und angenehmen Temperaturen. Ich erhielt morgens einen herrlichen Anruf von Viola: Unser erstes Kind ist auf dem Weg in diese Welt!
(...)
Ich verbrachte mehrere Stunden mit Viola im Krankenhauszimmer. Als ich aus dem Fenster schaute, fuhr im Hinterhof ein Bestattungswagen vor.
››Da geht ein Mensch‹‹, dachte ich, ››und gleich kommt ein neuer.‹‹
(...)
Viola war überfällig. Ich hatte null Erfahrung, spürte jedoch, dass es jetzt passieren würde.
Sämtliche Ärzte waren beschäftigt, scheinbar wollten alle Mütter ihr Kind zur gleichen Zeit gebären. (...)
Während im anderen Kreissaal eine Türkin rekordverdächtig schrie, brachte Viola unser Kind fast schweigend zur Welt.
Leider hatte ich sie nicht zur Schwangerschaftsgymnastik und Geburtsvorbereitung begleitet - in dieser Hinsicht bin ich halt durch und durch Theoretiker. So blieb mir nur, während der Wehen ihre Hände zu halten. (...)
Meine Nervosität stieg ins Unermessliche - dann war es endlich so weit. Ein kleines süßes schwarzhaariges Baby erblickte das Licht der Welt.
Ein unvergesslicher Moment: Das eigene Kind erstmals in Händen zu halten, mit dem kleinen Wesen zum Wiegen, Waschen und Vermessen zu gehen! (...)
Wir hatten einige Namen diskutiert, aber meine Wahl fiel spontan auf Shireen.
Danke, meine Frau, dass du uns diese süße Verantwortung für die Zukunft zur Welt gebracht hast. (...)
Fortan waren wir eine richtige Familie in Aich. (...)
Wir hatten es geschafft.
Doch Viola ist eine waschechte Berlinerin.
››Ich möchte so gerne wieder zurück‹‹, hing sie mir über Jahre in den Ohren. Und so versprach ich meiner Viola aus einer Laune heraus hoch und heilig: ››Wenn eines Tages die Mauer fällt, gehen wir nach Berlin.‹‹
Keinen Moment dachte ich daran, das selbst irgendwann zu erleben.
Und dann fiel die Mauer tatsächlich!
(...) Auf einmal passte alles ...
Der Umzug - auch wenn das merkwürdig klingt - ergab sich von selbst: Ich schwärmte meiner Frau ständig von meinen tausend Geschäftsideen vor. (...)
Selbst am Frühstückstisch hatte ich Einfälle. Beispielsweise die, eine Margarineverpackung auf den Markt zu bringen, die speziell junge Leute anspricht. Wenig später stand Lätta in den Verkaufsregalen. Da waren andere auf eine ähnliche Idee gekommen. Was beweist: Auf meinen Riecher kann ich mich verlassen.
Die Maueröffnung und die sich anbahnende Wiedervereinigung ließen eine völlig neue Wirtschaftssituation entstehen. Natürlich hatte ich den medizinischen Bereich und dessen Ausstattung mit technischen Geräten im Visier. Mir war klar, dass sich Kliniken völlig neu einrichten und viele neue Praxen gründen würden. Alte DDR-Technik würde auf dem Müll landen. Ein riesiger Nachholbedarf zeichnete sich ab - und damit gute Geschäfte.
(...)
1990 war es so weit. Adele, Schwabenländle! Auf zur Berliner Oma und zum Berliner Opi, auf in Violas Heimat und auf in die Selbstständigkeit!
Ich komme aus einer Kleinstadt. (...) Deshalb wohnen wir in Berlin in einer kleinstädtisch geprägten Gegend. In Rudow - das ist sozusagen eine Kleinstadt mit Hauptstadt-Anschluss.
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Mein Buch bei Rohnstock Biografien
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Meine Frau und ich hatten uns 1986 kennen gelernt. (...)
Ich wollte mal so richtig ››die Sau rauslassen‹‹. Ibiza, derzeit schwer in Mode, sollte mein Urlaubsziel sein. Iris, eine gute Freundin, arbeitete als Reiseleiterin auf Mallorca. Ihre Mutter fragte mich, ob ich nicht so nett sein könne, ihrer Tochter einen Koffer mitzunehmen: ››Sie ist jetzt schon den vierten Monat dort und braucht dringend Nachschub.‹‹
(...) ››Klar mache ich das‹‹, willigte ich als typischer Ja-Sager ein, einen Koffer mit neuer Wäsche und was weiß ich nicht alles mit auf Reisen zu nehmen.
So brach ich auf Richtung Ibiza - über Mallorca. Ich wollte den Koffer bei Iris vorbeibringen und vielleicht zwei, drei Tage bleiben, um dann weiter an mein eigentliches Ziel zu reisen.
Dort kam ich aber nie an. Denn Iris wohnte nicht allein ...
Sie hatte mich in Palma mit dem Auto abgeholt und wir waren zu ihrem Haus nach Cala Ratjada gefahren. Es war schon fast dunkel, als wir ankamen und ich vorne auf der Terrasse zwei junge Mädels sitzen sah. Die Blondine war schön braun gebrannt, hatte aber deutlich zu viel gebräunte Hautfläche. Neben ihr saß im Dunkeln ein wesentlich zarter gebautes Fräulein, das mich nett begrüßte. (...)
Sie machte einen sehr angenehmen Eindruck, war hübsch - und hieß Viola.
(...)
In den nächsten Tagen lernte ich Viola als gute Freundin kennen. Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Doch die Zeit war sehr schön und ich beschloss, meinen Aufenthalt bei Viola und Iris zu verlängern.
Die Mädels hatten als Reiseleiterinnen freien Eintritt in jede Disco und schleusten mich so überall mit hinein. Schon am dritten Tag hatte ich alle Informationen beisammen, um selbst als Reiseleiter durchzugehen - und gab mich in der Disco Xiroi als solcher aus. Das klappte bestens, und so fand ich mich später mit einem süßen Mädel am dunklen Strand wieder. Das Techtelmechtel war erlaubt, denn schließlich hatte Viola einen einheimischen Freund.
Eines Abends ging es in eine gigantische Außendisko nahe Porto Christo. Tina, Iris, Viola und andere, die wir dort trafen, tanzten - und plötzlich war es so weit: der erste Kuss zwischen Viola und mir!
Wir blieben aber eher brav, denn sie hatte noch diesen spanischen Freund und wollte grundsätzlich nichts mit Touris anfangen. Eigentlich ...
Die Zeit war wunderbar und ich sagte Viola, dass ich in ein paar Wochen wiederkäme. (...)
Sechs Wochen später war ich wieder da. Es hatte mich gepackt: (...)
Mann, war ich verliebt!
Es gab da nur ein kleines Problem: Meine extreme Flugangst. Meine Panik davor, eingesperrt zu sein in nichts als ein bisschen Blech, die blöden Koffer und sonst gar nichts unter den Füßen.
Zum Glück hat sich meine Flugphobie bis heute in Luft aufgelöst. Sie verlor sich schleichend, weil ich in den nächsten Jahren so viel um die Welt flog. (...)
Irgendwann war der berufliche Stress so groß, dass ich es mir nicht mehr leisten konnte, über meine Flugangst nachzudenken.
Dafür blieb mir meine Fahrstuhlphobie, die ich während einer Klassenfahrt nach Brüssel zum ersten Mal erlebt hatte: Wir hatten das berühmte Atomium besucht, eine Wahnsinnskonstruktion, ein Symbol für das Atomzeitalter. In 25 Sekunden erreicht der Lift den Aussichtspunkt in der obersten Kugel. (...)
Ich kippte fast um, so übel wurde mir, während der Fahrstuhl nach oben raste. Seitdem ängstige ich mich in engen Räumen und Fahrstühlen. Verheerend!
Vor allem, als ich oft New York besuchte, war es furchtbar. Am schlimmsten sind gläserne Lifte. (...)
Warum baut man solche Aufzüge überhaupt?
Meine Flugangst wurde wohl vor allem durch die Liebe geheilt. Für meine erste Reise nach Mallorca hatte ich noch den Landweg gewählt. Mit meiner kleinen blauen Kiste, einem Fiat Sport, flitzte ich nach Barcelona. (...)
Nach Mallorca setzte ich mit dem Schiff über.
Doch diesen Weg kann man nur nehmen, wenn man Zeit hat. Ich aber konnte und wollte nicht so viele Stunden verplempern, um Viola wiederzusehen. (...)
Innerhalb eines halben Jahres besuchte ich sie drei Mal auf Mallorca.
Zur Wintersaison wurde sie nach Paguera versetzt. Kein Discotrubel mehr, hier standen die Rentner im Mittelpunkt. Viola und die anderen bemühten sich bestens um die älteren Herrschaften. (...)
Es war eine nachdenkliche Zeit und weit ruhiger als die Sommerbesuche.
Viola gab im Frühjahr 1987 ihr Reiseleiterdasein auf. Für mich. Das musste wahre Liebe sein. Andy im Glück!
(...) Spanier gegen Schwaben austauschen - ob das gut gehen würde?
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Endlich! 1984 bezog ich zusammen mit meiner Freundin Birgit die neue Wohnung (...)
Mitten im Schwabenländle wollte ich im Herbst den Studienplatz in Stuttgart antreten. Die drei Monate bis zum vermeintlichen Studienbeginn wollte ich offiziell als ››arbeitslos‹‹ verbringen: ein bisschen jobben, mir fürs Studium Geld verdienen.
Doch beim Stuttgarter Arbeitsamt, wo ich mich melden musste, lief es anders als erwartet. Mir wurde ein Job angeboten: Ich hätte sofort als Tellerwäscher im Nürtinger Hotel am Schlossberg anfangen können. Das Angebot lehnte ich dankend ab - damals war das noch möglich. Für den zweiten Vorschlag hatte ich ebenfalls nicht viel übrig. Es kann sich um nichts Weltbewegendes gehandelt haben, sonst könnte ich mich daran erinnern.
Doch dann kam eine Offerte, die mir reizvoll erschien: Lagerarbeiter bei der Hortmann GmbH - im Bereich der Medizintechnik. Ich sagte Ja, und nahm mir vor, dort nur die drei ins Auge gefassten Monate bis zum Semesterbeginn zu arbeiten. Jobben und Kohle kassieren. Mehr sollte nicht sein.
Doch Andy hatte wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es war Sommer - und merkwürdig: ››Kannst du eine Hecke schneiden und Rasen mähen?‹‹, fragte mich Günter Hortmann, der Chef des Unternehmens.
››Natürlich‹‹, antwortete ich und freute mich, draußen an der frischen Luft arbeiten zu können, statt im Lager.
Komisch nur, dass Herr Hortmann regelmäßig meine Nähe suchte. Er wollte keinen Smalltalk, sondern sprach mich wegen seiner innerbetrieblichen Probleme an. (...)
Ich sprach völlig unbefangen mit ihm, weil ich nichts zu verlieren hatte. (...)
Das war Herr Hortmann nicht gewohnt. Keiner seiner Mitarbeiter sprach so mit ihm. Meine Geradlinigkeit imponierte ihm anscheinend: Endlich war da jemand, der sich traute, mit ihm Klartext zu reden.
Leider hielt es der Chef nur mit mir so. Ich versuchte zwar, ihm nahe zu bringen, dass er so offen und freimütig mit anderen Kollegen über Probleme sprechen müsse. Doch konnte Herr Hortmann nicht über seinen Schatten springen.
Ein paar Wochen und viele solcher Gespräche später, fragte mich der Chef: ››Hast du nicht Lust, für ein Jahr im kaufmännischen Bereich zu arbeiten? Sozusagen als Training on the job? Studieren kannst du ja immer noch!‹‹
(…) Ich überlegte nicht lange. Jeder kennt doch das Sprichwort vom Ins-Wasser-Springen-und-schwimmen-lernen.
››Jo, das machen wir!‹‹, sagte ich mir und Herrn Hortmann. ››Rieche ich mal ein bisschen in den kaufmännischen Bereich hinein. Kann ja nicht schaden.‹‹
Ich wurde normal bezahlt wie alle anderen. Ich war ein richtiger Angestellter. Da schwoll meine Brust! Denn ich war als Nobody eingestellt worden. Bis eben noch hatte Andy Zelten, Faulenzen und Studienwünsche im Kopf gehabt - und nun einen richtigen Job!
(...)
Gleich zu Beginn meiner Karriere sollte ich eine Tagung in Stuttgart organisieren. Thema war das Cochlear-Implantat, eine interessante Technologie: Gehörlosen Menschen wird ein Implantat ins Innenohr eingesetzt. Ein vom Patienten getragener Sprachprozessor verarbeitet die Sprache zu Impulsen, die an das Implantat übertragen werden. Mit dieser Technologie wird es manchen Gehörlosen wieder möglich zu hören. (...)
Ich hatte von solchen Möglichkeiten der medizinischen Forschung noch nie gehört und war begeistert! Ich organisierte, was das Zeug hielt.
Doch bislang hatte ich noch nicht einmal in einem Hotel geschlafen. Warum auch? Und plötzlich sollte ich für hochkarätige Professoren, die aus aller Welt anreisten, die Unterbringung arrangieren, Absprachen mit dem Hotelmanagement treffen und verhandeln.
Wie aufregend! Wie schön!
Wie schrecklich, das schaffe ich nie!
››Egal, einfach loslegen‹‹, lautete meine Devise. Keine Angst vor Fehlern. Losmarschieren, und fertig! Am Ende klappte es zur Zufriedenheit aller.
Ich erlebte einen unheimlichen Antriebsschub und begriff, wie wichtig die eigene Motivation und die des Teams ist. Schenk den Mitarbeitern Vertrauen und sie bewegen etwas.
Fortan arbeitete ich mit riesigem Spaß im Marketing. Der Chef nahm mich unter seine Fittiche, wofür ich ihm bis heute dankbar bin. (...)
Bald wurde ich zur rechten Hand des Chefs für den Marketingbereich.
Natürlich lernte ich dabei mit ganz anderen, kleinen und großen Herausforderungen umzugehen. Ich lernte viel - für die Zukunft.
So entwarf ich zum Beispiel Prospekte und arbeitete mit Druckereien zusammen. (...) Anfangs durfte ich nur ein paar Ideen für einen Prospekt beisteuern. Das begann mich schnell zu langweilen, und nach und nach ging ich eigene Wege. Seinem Chef beizubringen, dass er schlechte Fotos von technischen Geräten macht, bei denen die Drucker die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, will gelernt sein.
Eines lernte ich bei Hortmann außerdem: Wie wichtig es ist, seinem Arbeitgeber gegenüber loyal zu sein.
Es trat der Fall ein, dass sich seine Generalvertretungen selbstständig machten und eigene medizinische Geräte bauen und vertreiben wollten. Mit dem Know-how der Firma und ohne Wissen des Chefs, der glaubte, alles sei bestens. Es kam sogar so weit, dass die Abtrünnigen mich - die rechte Hand des Chefs - auf ihre Seite ziehen wollten.
Ich blieb loyal und informierte Herrn Hortmann über die Machenschaften einiger seiner Mitarbeiter. Dann drehten wir einfach den Spieß um und tricksten sie aus: Ich zeigte mich interessiert an ihren Offerten und nutzte alle Informationen, die Günter Hortmann und seinem Team Schaden hätten zufügen können. Für meinen Chef. Ich versorgte ihn mit allen Neuigkeiten - und wir warben kurzerhand heimlich die guten Mitarbeiter der Generalvertretungen ab. Dann kündigte Günter Hortmann völlig berechtigt den Generalvertretungen und überraschte die traurigen Gestalten. Diese Geschichte verband uns beide.
Loyalität war Ehrensache. Denn ich hatte Respekt vor der Leistung von Günter Hortmann, der seine Hortmann GmbH aufgebaut und viele Arbeitsplätze geschaffen hatte. Mit Trittbrettfahrern hatte ich nichts am Hut. Eine furchtbare, hinterhältige Spezies! Und langweilig dazu, weil sie keine eigenen Geschäftsideen entwickeln - und mit den geklauten Ideen häufig genug gegen die Wand fahren. (...)
Letztlich kam ich nie zum Studium. Jedes einzelne Jahr bei Hortmann brachte mich beruflich und fachlich weit nach vorne. Die Arbeitswelt ließ mich nicht mehr los.
Fünf Jahre blieb ich bei der Hortmann GmbH, von 1985 bis 1990. (...)
In diesen fünf Jahren eignete ich mir mehr Praxiswissen an, als ich durch ein Studium jemals erreicht hätte. (...)
Von der Universität kommend, ist man theoretisch bestens gerüstet. Genau so packt man jedoch Probleme an - von der theoretischen Seite her. Die praktische Sicht fehlt. Und auch den menschlichen Umgang lernt man nicht an der Universität.
Daher bereue ich es nicht, dass ich nie studierte, ...
Ich würde es wieder so machen.
Diese Haltung durchzieht mein gesamtes Handeln und Tun. Wenn ich einen Mitarbeiter einstelle, achte ich darauf, dass es ein praktisch veranlagter Mensch ist. Ich mag vernünftiges, handlungsorientiertes Denken.
Nach fünf Jahren Hortmann GmbH stieß ich in meinem Arbeitsbereich an Grenzen. Ich wollte dem gängigen und langweiligen Marketing den Rücken kehren. (...)
Ungewohnter, neuer, frischer. (...)
Die Zeit war reif für Neues. Für Eigenes.
Außerdem war die Mauer gefallen - und damit ein besonderer privater Umstand eingetreten: Ich musste eine Wette einlösen. Ich hatte sie mit meiner Frau geschlossen ...
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