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Kunde Zahnarzt: Warum investiert er? Wann gibt er Geld aus?
Die einfache Antwort lautet: Eine Investition muss viele neue Einnahmen generieren. Das Geld zählt, auch in der Medizin. Würde ein Zahnarzt ... in eine digitale Intraoralkamera investieren, obwohl er doch vorher gut ohne auskam?
Ja, glaubte ich: Wir müssten unsere Kunden nur davon überzeugen, dass deutliche Aufnahmen von Zahndefekten, stark vergrößert auf einem Monitor, den Patienten - und hier besonders den Privatpatienten - darin bestärken, größere ››Reparaturen‹‹ durchführen zu lassen. Gut begründet verkauft sich eine zahnärztliche Leistung eben noch einmal so gut.
Es gab bereits erste Modelle auf dem Markt. Ich aber wollte ein Rösch-Produkt mit deutlichen Vorteilen gegenüber den Mitwettbewerbern. Ein Zahnarzt hat schließlich wenig Zeit. Die ist bekanntlich Geld - und das bedeutete, dass die Kamera einfach zu bedienen sein musste.
Reinhard Tietze, ein guter Geschäftsfreund aus dem Bereich der HNO-Technik und Geschäftsführer der Meditronic GmbH, kämpfte in dieser Zeit mit zu geringen Umsätzen. Reinhard ist ein Qualitäts-Guru und setzt immer auf Perfektion. Ich war wohl einer der Ersten, die ihn etwas vom Wege abbrachten, und half ihm dadurch, sein Unternehmen wieder in Fahrt zu bringen: Reinhard durfte für mich eine qualitativ hochwertige Kamera bauen - aber das typische verwirrende Knöpfchen-Angebot im Display wollte ich nicht. Einen Ein-/Ausschalter - basta.
Der Arzt will die Kamera nehmen und ein Standbild produzieren, um dem Patienten den Zahndefekt zu zeigen. Das reicht: Zahnärzte sind Handwerker und keine Technikfreaks.
Reinhard Tietze baute mir mein Gerät - meine Kamera! Eine super Kamera! Ein Apparat, ganz nach meinen Wünschen: Nimmt der Arzt das Gerät in die Hand, springt automatisch das eingebaute Licht an, das die Mundhöhle ausleuchtet. Die Kamera filmt drauflos. Mit einem Tritt auf einen Fußschalter kann man das Bild auf dem angeschlossenen Computerbildschirm einfrieren. Kein Zeitverlust. Keine Spielereien. Kein unnötiger technischer Schnickschnack. Brillant!
Etwas Besonders war auch der Name der Kamera. Mitanbieter nannten ihre Geräte TeliCam oder UltraCam, also typisch technisch. Ich gab meinem tollen Baby einfach einen Vornamen: Viola - wie meine Frau.
So ein völlig untypischer Produktname sorgte für Aufsehen in Hersteller- wie Arztkreisen. Viele Wettbewerber glaubten, ich sei ››ein bisschen verrückt‹‹. Doch das war mir egal. Je verrückter meine Marketing-Aktivitäten, desto hämischer reagierte die Konkurrenz. Und umso erfolgreicher war ich.
Wir warben kräftig in Fachzeitschriften. Auf einer Messe lockten wir mit dem Angebot, dass es auf unserem Messestand nicht den üblichen Sekt gibt: ››Trinken sie den Sekt woanders, dafür können sie bei uns sparen.‹‹ Und wir missbrauchten unseren Steuerberater - ein ganz schwerer Junge - und ließen ihn auf dem hochsensiblen Viola-Handstück herumspringen. Es hielt.
Auch unsere Anzeigen fielen auf. Wir setzten überall neue Maßstäbe.
Natürlich wehrte sich die Konkurrenz. Der Verband der Dentaldepots war gegen uns. Händler wollten ihre Pfründe sichern. Man setzte alle Hebel in Bewegung, um uns zu schaden. An manchen Messen konnten wir nicht teilnehmen, weil uns der Verband keinen Platz gab.
››Violchen‹‹ schlug dennoch ein wie eine Bombe. Sie kostete richtig viel Geld - doch sie war jede Mark wert. Viola wurde in Deutschland mit über dreitausend Stück zur meistverkauften dentalen Digitalkamera! Die Rösch GmbH machte wunderbare Umsätze, sowohl in der Pädiatrie als auch im Dentalbereich. Wir standen auf zwei wirtschaftlich gesunden Beinen.
Das lag vielleicht auch am Produktnamen, der viele Möglichkeiten bot, mit dem Kunden unkonventionell ins Gespräch zu kommen. Die Ärzte merkten sich unseren Markennamen Viola viel schneller und besser als irgendwelche technischen Produkttitel. Und er hatte einen heiteren Nebeneffekt. Wenn ein Außendienstler in eine Praxis kommt und den Zahnarzt fragt: ››Was macht ihre TeliCam?‹‹, dann ist das langweilig. Aber wenn er zur Tür hereinkommt und sagt: ››Ich wollte nachfragen, was ihre Viola so macht!‹‹, hat das doch Witz - und auch ein wenig Zweideutiges.
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Der Firmensitz meiner Rösch GmbH befand sich ... im Keller unseres Reihenhauses in der Goldammerstraße 56a. (...) Wir waren sehr erfolgreich im HNO-Bereich, verkauften Hortmann-Produkte und amerikanische Geräte.
Schon nach einem halben Jahr arbeiteten wir zu viert. Es wurde eng. (...)
Binnen eines Jahres wuchs die Mitarbeiterzahl auf zehn. Wir erzielten einen Jahresumsatz in Höhe von mehreren Millionen D-Mark. Bald setzten wir mehr auf amerikanische Geräte, die sich im gesamten Bundesgebiet bestens absetzen ließen.
Anfang 1991 zogen wir mit der Rösch GmbH in ein Haus in Alt-Buckow 6. (...)
Danach übernahmen wir ein Haus in derselben Straße, Nummer 10, bis die Firmenzentrale 1999 endgültig an den Buckower Damm verlegt wurde.
Nach dem anfänglichen Boom tat sich mit der Zeit ein Problem auf: In Westdeutschland ist die Landschaft der medizinischen Praxen organisch gewachsen. Die eine Praxis ist fünfzehn, die andere zehn und eine dritte fünf Jahre alt. Das bedeutet, dass über die Jahre immer mal wieder neue Geräte fällig werden.
Im Osten gestaltete sich die Situation völlig anders: Innerhalb von drei Jahren war Ostdeutschland flächendeckend mit neuesten Gerätschaften versorgt worden. So gingen ab 1993 die Umsätze erheblich zurück.
Infolgedessen musste ich mein Geschäftsmodell überdenken - und mich nach neuen Betätigungsfeldern umschauen. Ich sattelte um, setzte auf ein neues Pferd: die Pädiatrie, die Kinderheilkunde.
Die einfachen Screening-Hörtester hatten wir ja schon im Programm, aber wir brauchten etwas Neues. Da halfen Zufall und Glück.
Günter Hortmann rief mich an. Ich sollte ihm einen Gefallen tun und für ein bis zwei Stunden nach Frankfurt am Main fliegen. Dort wollten uns amerikanische Geschäftsleute ein Tympanometer vorstellen. Die Hortmann GmbH vertreibt selbst solche Geräte in Deutschland. Günter wollte die amerikanische Konkurrenz aus dem Markt heraushalten. Ich sollte deshalb versuchen, die Rechte für die Rösch GmbH zu erwerben und dann einfach so tun, als sei das Produkt in Deutschland unverkäuflich.
Ich war genervt, weil ich dieses VIP-Hopping nicht mag: Mal eben wegen einer Stunde nach Frankfurt am Main und dann zurück, war nicht mein Ding. Aber schließlich flog ich doch.
Ich traf zwei Herren der Firma American Electromedics aus Amherst in New Hampshire. Einer von ihnen war ein junger Amerikaner mit Namen John Moore. (...)
Er stellte das Gerät vor, in uraltem Design und schrecklichem Weinrot. Es verfügte jedoch über ein kleines Display, das sich als Highlight herausstellte.
Kinderärzte testen mit dem Tympanometer die Mittelohrfunktion von Kindern. Eine Sonde mit Ohrstöpsel dichtet den Gehörgang ab, baut Druck auf und testet dann die Trommelfellaktivität. Kinder mögen die Sonde im Ohr nicht und werden deshalb schnell unruhig.
Auf dem Display dieses amerikanischen Gerätes sah man ein Auto. Wenn das zu untersuchende Kind ruhig wurde und blieb, fuhr das Auto los und in eine Garage hinein. Das faszinierte die Kleinen - und schwups war die Untersuchung vorbei. Das AE 205 war zwar hässlich, aber sehr praktisch für Kinderärzte. Günter Hortmann und die Hortmann-Vertreter fanden dieses Gerät schrecklich.
Ich setzte mich gegen die Meinung aller durch und wir verkauften die Tympanometer erfolgreich. Für John bedeutete das den ersten großen Erfolg - und für uns beide den Beginn einer langen Freundschaft.
John schrieb am 6. März 2006 auf seiner Website Bet the Jockey unter der Überschrift ››PAKETERIA - My Latest Investment Adventure‹‹ über sein Engagement für PAKETERIA:
››It all started because of a trip he didn′t really want to take and could barely afford. In 1991 Andy Roesch received a call from one of his business advisors sheepishly asking him to meet me in the Frankfurt airport. His partner had heard that I was considering offering one of Andy′s competitors the German representation for our line of medical instruments. ››Take on the representation and just sit on it‹‹, his advisor said. That just wasn′t in Andy′s DNA. He had just started his business. A trip with such a lukewarm recommendation didn′t sound worthwhile. Luckily he listened to his instincts and met me. During our two-hour meeting he agreed to take on the representation of our line of medical instruments. The next year he was responsible for 80 % of our Company's overall sales.‹‹
American Electromedics war an der Börse in New York im OTC-Bulletin Board gelistet. Unser riesiger Erfolg mit dem amerikanischen Tympanometer bugsierte das Unternehmen aus der Verlustzone in den Gewinnbereich. Allerdings waren die Amerikaner jetzt abhängig vom weiteren Erfolg der Rösch GmbH. (...)
John war mein Kaliber. Er war neuen Dingen stets aufgeschlossen. So fand er das nächste Produkt für uns. Es handelte sich um einen Screening-Hörtester, den John das ››Piloten-Audiometer‹‹ nannte. Schluss mit den langweiligen Hörtestgeräten, die doch nur falsche Ergebnisse produzierten.
Wir waren die Ersten, die das neue Gerät auf den Markt brachten, mit dem man spielerisch die genaue Hörschwelle bestimmen kann. Die Kinderärzte und ihre kleinen Patienten liebten das Piloten-Audiometer. Wichtige Professoren plusterten sich zwar auf, dass die Methode nicht durch sie autorisiert wäre. Doch sie überzeugte, und die Verkaufszahlen waren phänomenal.
Volkmar Schultze, der heute eine wichtige Rolle bei PAKETERIA spielt, besuchte in jener Zeit einen Kinderärzte-Kongress und musste dort etwas Ungewöhnliches tun: Er schaffte etwas Hamburger Fischmarkt-Atmosphäre, weil er auf einen Stuhl stieg, um den Ärzten mitzuteilen, dass jeder sein Gerät bekommt. Eine einmalige Situation.
Wir etablierten uns mit diesem wunderbaren Erfolg auch in der Kinderheilkunde. Gleichzeitig waren wir nicht länger von den Geräten der Hortmann GmbH abhängig. Mein Mitarbeiterteam zog stets begeistert mit und wir versetzten kleine Berge.
Ich war nun mein eigener Herr und konnte geschäftlich endlich eigene Wege gehen. Das bedeutete jedoch, mich von meinem früheren Chef Günter Hortmann zu trennen. Ich brauchte seine Geräte nicht mehr zum Überleben.
Jetzt konnte ich Werbung so gestalten, wie ich lustig war.
Erstens machte mir die Arbeit Spaß. Zweitens war sie erfolgreich - im gesamten Bundesgebiet: Viele Kinderärzte reagierten auf unsere Werbebotschaften, ließen sich Geräte zur Probe schicken - und behielten sie. In den nächsten zwei Jahren fuhren wir mit der Pädiatrie exzellente Umsätze ein.
Wir verkauften jetzt die beiden Produkte der American Electromedics so gut in Deutschland, dass das börsennotierte Unternehmen zum Handeln verdammt war. So konnte ich erstmals persönlich einen großen Erfolg einfahren. Ich kaufte Günter Hortmann, Wolfgang Kramer und Stefan Reuter günstig die insgesamt fünfzig Prozent der Anteile an der Rösch GmbH wieder ab. Die Anteile verkaufte ich weiter an American Electromedics für 500 000 US-Dollar und 500 000 Aktien des Unternehmens. Zusätzlich wurde ich ins Board of Directors berufen. (...)
Ich flog in dieser Zeit viel in die USA, lernte - wie immer wieder - durch die Praxis, dieses Mal war es die englische Sprache.
Der Firmensitz von American Electromedics liegt nördlich von Boston in New Hampshire, dem Bundesstaat mit dem berühmten ››Indian Summer‹‹. Den gibt es übrigens hierzulande auch, ist genauso schön und heißt ››Altweibersommer‹‹.
Viele Flüge führten mich nach New York. Zahllose Erlebnisse verbinden mich bis heute mit dieser Stadt. Beim ersten Mal hatte mich Allan Gelband in sein Büro, das direkt gegenüber des Trump Towers liegt, eingeladen. (...)
Er saß, wie nicht anders zu erwarten, in seinem Stuhl - und hatte die Füße auf dem Schreibtisch. Wir führten zunächst den typischen Smalltalk. Doch ich konnte spüren, dass er wissen wollte, was das für ein Germane ist, der in so kurzer Zeit achtzig Prozent der weltweiten Umsätze der American Electromedics alleine in Deutschland schafft.
Die übliche Frage nach meinen Visionen ließ nicht lange auf sich warten. Ich drehte mich zum Fenster, schaute auf den Trump Tower und sagte, dass dieses Gebäude meine Visionen versinnbildlichen könnte. Die Antwort passte dem Mann, gute Sprüche und Selbstbewusstsein kamen hier an.
John Moore war bei American Electromedics ausgeschieden. Wir blieben stets in Kontakt und wollten uns später zu Projekten wiederfinden.
Noel Wren, der neue Präsident von American Electromedics, war ein verzopfter Amerikaner, eine Art Woodstock-Relikt. (...) Noel war im Grunde genommen ein Lieber, der einerseits unsere Gina bei strömenden Regen durch den Disney-Park in Florida trug, der aber andererseits durch Alkoholprobleme auf die falsche Spur geraten war. (...)
Noel wurde abgesetzt und ein von Alkoholproblemen freier, aber knallharter Geschäftsmann folgte ihm. Ich sollte mit Thomas Slamecka noch viele schwierige Situationen erleben. (...)
Günter Hortmann sah unser Engagement mit den amerikanischen Produkten für die Kinderheilkunde in den neuen Bundesländern kritisch. Er fühlte sich mit seinen HNO-Produkten benachteiligt. Deshalb kaufte er uns die Generalvertretung wieder ab. Hortmann bezahlte gutes Geld, und weil das Preis-Leistungs-Verhältnis für mich stimmte, verkaufte ich. Er sah andere Argumente für den Preis als ich. Die Zukunft sollte zeigen, wer der richtigen Einschätzung gefolgt war.
In dieser Zeit beschäftigte ich rund zwanzig Mitarbeiter, je nach Auftragslage schwankte die Zahl ein bisschen. Die Geschäfte liefen gut.
Doch wieder beschlich mich Sorge: ››Die Firma steht nur auf einem Standbein - der Kinderheilkunde. Das macht mich nervös. Man ist so abhängig. Wenn da irgendetwas passiert - nicht auszudenken! Ich trage Verantwortung für meine Familie und meine Mitarbeiter und deren Familien.‹‹
So liebäugelte ich mit dem Dentalbereich als weiteres Standbein der Rösch GmbH. Ich setzte auf Intraoralkameras. Meine eigenen ...
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››Andy Rösch ist ein Macher. Ein Mann mit Visionen!‹‹, sollte es später einmal von mir heißen. Ich stand wie jeder Existenzgründer an der Brücke und kämpfte mit mir, den Weg hinüber ins Neue ... zu gehen. Ich hegte Zweifel: Was hatte ich bisher in meinem Leben erreicht?
Ich hatte eine kleine Familie gegründet und mich als Angestellter bei Günter Hortmann ordentlich geschlagen. Es war nicht alles knallhart durchkalkuliert für die Zukunft - doch ich verspürte einen inneren Drang. Und es war gut, dem zu folgen.
Die Brücke in die Selbstständigkeit ist die längste, die ein Mann oder eine Frau im Leben beschreitet. (...)
››Mit dreißig mache ich mich selbstständig‹‹, lautete eines meiner Lieblingsversprechen an mich und meine Familie. ››Mit fünfunddreißig werde ich Millionär. Und mit vierzig steht ein türkisfarbener Helikopter auf dem Firmengebäude mit Flachdach.‹‹ (...)
Mit dreißig Jahren machte ich mich tatsächlich selbstständig! Davon gleich mehr.
Mit 35 Jahren erhielt ich einen Scheck in Höhe von 500 000 US-Dollar und 500 000 Aktien vom amerikanischen Unternehmen American Electromedics für den Verkauf von fünfzig Prozent der Rösch GmbH-Anteile. Es hatte geklappt mit dem DM-Millionär.
Das mit dem Hubschrauber zum vierzigsten Geburtstag konnte ich zwar nicht realisieren, doch stattdessen ging ich mit meinem Unternehmen an die Börse. (...)
Bisher habe ich mir stets Ziele im Fünf-Jahres-Rhythmus gesetzt. Und die sind so oder so eingetreten. (...)
Nach der Wende sah ich die riesigen Chancen, die der Markt in den neuen Bundesländern hinsichtlich der Medizintechnik bot. Ich wollte sie nutzen. Und bewies den richtigen Riecher.
Im Frühjahr 1990 zog unsere Familie nach Berlin. Am 1. Juli machte ich mich mit der Rösch GmbH selbstständig.
In einem Reihenhaus in der Goldammerstraße 56a in Rudow fanden wir unser neues Zuhause und die neue Rösch GmbH ihren ersten behelfsmäßigen Geschäftssitz - unten im Keller.
Ich hatte mein Versprechen eingelöst: Wir lebten in Berlin und ich war selbstständig. (...)
Dennoch hatte ich nicht die hundertprozentige Zuversicht, dass ich das alles schaffe. An der GmbH mit dem damals üblichen Startkapital von 50 000 DM hielt ich fünfzig Prozent. Mein alter Chef Günter Hortmann hielt zwanzig Prozent und Hörgeräte Kramer & Reuter, die West-Berliner Vertretung von Hortmann, die restlichen dreißig Prozent.
Mit Unterstützung von Wolfgang Kramer ergatterten wir einen Kredit aus der ERP-Wirtschaftsförderung - 100 000 DM. Dies war nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Einrichtung einer HNO-Praxis meist deutlich über 250 000 DM kostete. Im Rückblick betrachtet, starteten wir mit einer äußerst knappen Finanzdecke.
Womit startete ich? Mit den Rechten als Generalvertretung für die Geräte der Hortmann GmbH, mit Diagnostikgeräten für HNO-Ärzte.
Ich musste mich jedoch in den neuen Bundesländern zunächst vorantasten: Alles war neu, unbekannt - ja fremd. Mein erster Besuch in Ost-Berlin, gleich nach Maueröffnung im November 1989, ist mir als grau in Erinnerung geblieben. Alles war grau. Die Häuser nicht gestrichen, nirgends Werbung zu sehen. Die wenigsten Menschen trugen farbige Kleidung. Selbst das Wetter war mies. Der Osten deprimierte mich - ich empfand alles nur als trist. (...)
Trotzdem: Ich wollte Geld verdienen. Gleich nach der Währungsunion im Sommer 1990 legte ich los. Allerdings ist so ein Sommerstart umsatztechnisch meist ein Debakel.
Die erste Woche der Selbstständigkeit gehörte meiner Schwiegermutter - vor denen ist man nie sicher. Auch dann nicht, wenn man sich gerade selbstständig macht.
Meine Schwiegermutter Roswitha überreichte mir zur Geschäftseröffnung eine Grünpflanze. Dabei ließ sie - mal wieder - eine Schote ab: ››Ich habe die letzten Tage nicht angerufen‹‹, sagte sie. ››Sonst hättest du beim Telefonklingeln vielleicht gehofft, dass es ein Kunde wäre - und wärst enttäuscht gewesen.‹‹ (...)
Ich startete gemütlich in meine Selbstständigkeit, ich wollte die Sommersonne genießen. Tagsüber saß ich mit dem Firmentelefon - nur mit Badehose bekleidet - auf dem Balkon. Neben mir spielte Shireen im Planschbecken. Und abends versuchte ich mich in der Vorbereitung von Werbe-Mailings: So schön - ruhig und genügsam - kann die Gründerzeit sein.
Bald verflüchtigte sich die Sonne. Ich wurde aktiv, denn die ersten Interessenten aus den ostdeutschen HNO-Kliniken meldeten sich per Post. Sie wollten sich selbstständig machen und waren den vielen westdeutschen Geräteanbietern ausgeliefert.
Wie konnte ich diese Interessenten für mich gewinnen? Ein Angebot unterbreiten und den Kunden liebevoll-bestimmt vollschwatzen kann jeder. Ich wollte mich unterscheiden von all den anderen und mehr bieten, weil diese Menschen mehr brauchten. Außerdem wollte ich Vertrauen aufbauen - die Grundlage für eine lange Kundenbeziehung.
Zusammen mit meiner ersten familieninternen Mitarbeiterin Viola bereitete ich meine Aktivitäten vor. Mein erstes Projekt waren Seminare für HNO-Ärzte. Dazu musste ich mir Adressen besorgen, ich hatte keine; ich begab mich auf Neuland. Mich überraschte die Tatsache, dass im Osten im HNO-Bereich rund neunzig Prozent Frauen arbeiteten. Kaum ein Mann. In Westdeutschland war das genau umgekehrt. Nicht allein deshalb musste ich mich umstellen.
Die Seminare waren gut besucht. Vielleicht deshalb, weil sich schnell herumsprach, dass wir ehrlich berieten. Viele der HNO-Ärztinnen waren um die vierzig bis fünfzig Jahre und hatten große Angst vor Veränderungen. Kaum eine von ihnen zeigte sich euphorisch: ››Hurra, die Mauer ist weg - jetzt mache ich meine eigene Praxis auf!‹‹, war keineswegs die vorherrschende Meinung.
Die meisten wagten den Schritt, weil sie für sich kaum eine Alternative sahen. Deshalb verkaufte ich diesen Frauen im Grunde genommen nicht nur die Geräte: Ich nahm mir viele Stunden Zeit und arbeitete nebenbei als liebevoller Seelenklempner. Die Ärztinnen vertrauten mir - und kauften dann bei mir.
Mitten hinein in meine erste berufliche Sturm- und Drangzeit verkündete mir Viola die tolle Nachricht, dass sie wieder schwanger ist. Wir zwei freuten uns sehr, dass Shireen bald ein Geschwisterchen bekommen sollte. (...)
Wie Viola die Zeit der Schwangerschaft meisterte, weiß ich nicht. Ich jedenfalls war keine große Hilfe, schließlich musste das Geschäft laufen. Ich bewundere sie für ihre Kraft.
Von Technik verstehe ich nicht viel, dafür hatte ich einen Mitarbeiter. Ich selbst konnte einer Ärztin oder einem Arzt nicht erklären, wie beispielsweise ein Audiometer funktioniert. Was interessiert das auch? Andere Dinge waren wichtiger: ››Wie bediene ich das Gerät?‹‹ - Hauptsache einfach! ››Wie bekomme ich das Geld von den Kassen wieder herein?‹‹
Solche Fragen stellten viele Ärzte. Und ich konnte sie beantworten. Das kam an. Deshalb verkaufte ich erfolgreicher als ein Techniker. Von seinem Fachchinesisch wären die meisten Doktoren völlig überfordert.
Damals tat ich mit meinem Techniker einen wahren Glücksgriff. Reyk Schampera war ein ostdeutscher Tüftler. Er begleitete mich bis zu meinem Ausscheiden aus der Rösch AG viele Jahre als Partner und Freund. Reyk arbeitet noch heute im ursprünglichen Bereich der Rösch AG, der heute der Riemser Arzneimittel AG gehört. (...)
Reyk hatte die Technik voll im Griff. Wie ein Zauberer. War eines unserer Geräte irgendwo in Ostdeutschland kaputt, fuhr er hin und brachte es wieder in Gang. Vor ihm ist bis heute kein Computer sicher.
Es wurden schnell mehr Angestellte, die als Vertreter und Techniker in den fünf neuen Bundesländern für mich unterwegs waren. Wir stellten viele Ostdeutsche ein, mit denen ich sehr gute Erfahrungen machte. Mir ging dieser ganze Ossi-Wessi-Scheiß ohnehin auf die Nerven. Die Wichtigtuerei und Überheblichkeit mancher Westdeutscher gegenüber den Ostdeutschen auch, was nun nicht bedeutet, dass ich mit Kritik hinterm Berg halte.
Ich betreute Ärzte vor Ort in ihren Praxen. (...) Wir boten ein ganzes Paket von Einrichtung, Technik, Versicherung und Finanzierung an. Alle Themen, die rund um eine Arztpraxis dazugehören. (...) Ich arbeitete zum Beispiel mit Möbelbauern und Versicherern zusammen. Jeder trug einen Teil bei - und ich führte Regie.
Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen: Es gab Kunden, die wussten nicht einmal, was ein Kredit ist. Ich will mich keineswegs lustig machen, sondern nur die Zustände kurz nach dem Mauerfall schildern: Viele Ärzte mussten sich wohl oder übel selbstständig machen. Ohne Kredite ging gar nichts. Sie waren überlebenswichtig für die Ärzte zwischen vierzig und sechzig Jahren. Sie brauchten das Geld, um ihre Praxen zu renovieren, um auszubauen, für neue Technik.
Ich brachte meinen Kundinnen und Kunden also manches neu bei. (...)
Manchmal arbeiteten meine Jungs und ich bis nach Mitternacht, weil eine Praxis am nächsten Morgen eröffnet wurde.
Mit vielen Kunden aus diesen Wendejahren pflege ich bis heute Kontakt. Und natürlich - deshalb waren wir ja da! - verdienten wir völlig zu Recht gutes Geld, für sehr gute Leistungen und Waren.
Mitten in die Aufbruchszeit fiel der Juli, der Geburtsmonat meines Sohnes Fabio. Alle meinten, dass es ein Sohn werden würde, der Bauch sähe anders aus als in der Schwangerschaft mit Shireen - wir hörten tausend schlaue Sprüche von allen Seiten. Ich aber hatte ein anderes Gefühl. Mein Gefühl tendierte zu einer kleinen süßen Gina.
Wir Röschis sind Spätzünder: Eigentlich war die Geburt für Anfang Juli geplant, doch nichts geschah, es verging Tag um Tag. Das Geschäft brummte, gleichzeitig war ich angespannt und in Gedanken bei Viola und dem Baby.
Zwischendurch ein aufgeregter Anruf: ››Das Kind kommt!‹‹
Ich werde aus Terminen gerissen und eile mit unserem Gesellschafter Wolfgang Kramer im Schlepptau zum Britzer Garten, einem Erholungspark, den meine Frau gerade besuchte. Die Zeit rast. Hat Viola unser Kind etwa schon bekommen - ohne mich, mitten im Britzer Garten? Dann die Entwarnung: Im Krankenhaus wird der falsche Alarm bestätigt.
Wolfgang Kramer, der mich eben noch zum Britzer Garten gefahren hatte, feierte am 12. Juli seinen Geburtstag. Es war ein wunderschöner Sommertag mit über dreißig Grad. Nach einem Freibadbesuch kündigte Viola einmal mehr an, dass ››es jetzt wohl so weit ist‹‹.
Violas Schwester Marion blieb bei Shireen und ich fuhr mit Viola ins Krankenhaus. Auf dem kurzen Weg dorthin meinte meine Liebste, dass es ihr doch wieder gut gehe.
››Jetzt reicht es!‹‹, beschloss ich. ››Ich fahre dich jetzt so lange in der Gegend herum, bis es so weit ist.‹‹
Im Krankenhaus angekommen, wurde meine Frau direkt ans Wehengerät angeschlossen. Vom Gerät fasziniert, sah ich auf die ausgedruckten Kurven und versuchte, Viola zu erklären, wann sie eine Wehe hat.
Als ob sie das nicht selbst merkte! Ich hätte das lieber sein lassen sollen, war aber nervös. (...)
Nun wurde es ernst: Es ging in den Kreißsaal. Ich durfte mich ganz ››in Krankenhaus‹‹ kleiden und fand mich schick in der Kleidung meiner Kunden.
Viola nahm es mit dem Humor, den sie in diesem Moment gerade noch aufbrachte. Die Tür zum Kreißsaal öffnete sich und es schienen an diesem Tag nur türkische Babys zur Welt zu kommen. Die türkischen Mütter schrieen, was das Zeug hielt. ››Schrei den Schmerz raus!‹‹ müssen sie bei der Geburtsvorbereitung auf Türkisch gelernt haben.
Es war heiß und eine Tortur für Viola, sie hatte starke Wehen. Die Hebamme gab mir Eiswürfel am Stiel, ich sollte meiner Frau damit die Lippen befeuchten.
Ich versuchte es wohl gerade in dem Moment, als eine Wehe begann. Wehe hin, Wehe her: ››Lass das sein!‹‹, raunzte Viola mich an.
(...) Das mit den Kinderkriegen ist für uns Männer doch etwas leichter - allen Frauen deshalb Respekt! Dank den Müttern, dank an Viola, die mir wider Erwarten aller eine zweite Tochter, unsere Gina, schenkte. Ich genoss es - wie schon bei Shireen - ein kleines Mädchen in den Armen zu halten.
Auf der Rückfahrt um Mitternacht war es schwülwarm. Ich öffnete alle Fenster und das Schiebedach des Golfs und drehte die Musik voll auf. Mit dem schönsten Glücksgefühl dieser Welt sang ich die ganze Autofahrt - gut, dass es niemand hörte.
Zu Hause erwartete mich Marion mit blauer Fabio-Ausstattung. Ausnahmsweise scherzte ich nicht und sagte: ››Es ist ein Mädchen!‹‹ Marion wollte es minutenlang nicht glauben. Aus war der blaue Traum - es lebe die Farbe rosa!
Doch schon holte mich der Geschäftsalltag ein. Die großen wichtigen Momente des Lebens sind eben kurz. Ich wurde so von der Arbeit überrollt, dass meine Schwiegereltern Viola und Gina aus dem Krankenhaus abholen und nach Hause bringen mussten. (...)
Zu dieser Zeit war ich wieder quer durch die neuen Bundesländer unterwegs. Ich fuhr von Klinik zu Klinik und verhandelte mit den Chefs. Mein erster Auftrag führte mich nach Magdeburg, der zweite am Tag darauf nach Weimar. Es waren einsame Stunden im Auto, auch weil ich kaum telefonieren konnte. Das DDR-Telefonnetz war mehr als dürftig. Manchmal musste ich eine Stunde warten, bis ich eine freie Leitung bekam.
Immerhin konnten sich die Krankenhäuser dank eines ersten Geldregens dringend benötigte Technik zulegen. Manche legten lange Listen an, was anzuschaffen sei. Ich fuhr mit den Geräten der Hortmann GmbH vor, erklärte wie sie funktionieren und nahm die Bestellungen auf.
Doch schnell war klar, dass ich mit den Produkten von Hortmann nicht alle Bedürfnisse abdecken konnte. Kundenorientiert schaute ich mich nach weiteren Firmen der Branche um. Ich wollte ein großes Leistungsspektrum anbieten. Dabei hatte ich den Ärzten meistens nicht viel voraus. Bestimmte Dinge musste ich mir erst aneignen, um sie vermitteln zu können.
Ich erlebte eine Zeit, die viel Neues brachte. Eine Zeit, die Spaß machte, auch wenn′s öfter anstrengend war. Das war echter Aufbau.
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